Immaterielle Produktion und Globalisierung als Herausforderungen für Unternehmen und Institutionen

Immaterielle Produktion und Globalisierung als Herausforderungen für Unternehmen und Institutionen

Organisatoren
Institut für Weltgesellschaft der Universität Bielefeld
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.11.2004 - 27.11.2004
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Von
Lars Heidemann und Gunnar Flume

Anlässlich des 60. Geburtstages von Werner Abelshauser fand am 26. und 27. November 2004 in Bielefeld unter dem Titel "Immaterielle Produktion und Globalisierung als Herausforderungen für Unternehmen und Institutionen" eine Tagung des Instituts für Weltgesellschaft der Universität Bielefeld statt. Die von der BASF AG unterstützte und von David Gilgen (Bielefeld) konzipierte und organisierte Veranstaltung versammelte zahlreiche akademische Weggefährten des Bielefelder Wirtschaftshistorikers, um das Wirken eines Wissenschaftlers zu würdigen, der, so Dietmar Petzina in der Abschlussdiskussion, seit seiner Dissertation maßgeblich zur Analyse des sozialen Systems der Produktion in Deutschland beigetragen habe. Wie sich dieses Modell des Rheinischen Kapitalismus und dessen institutioneller Rahmen herausbildete, wie deutsche Unternehmen seine Stärken nutzten und welche Veränderungen sich durch die Dynamik der Globalisierung ergaben und ergeben, waren die Leitfragen des in der Universität Bielefeld und dem Museum Wäschefabrik abgehaltenen Symposiums.

Den Auftakt bildeten am Freitagabend unter dem Motto "Der Widerspenstigen Zähmung: der rheinische Kapitalismus zwischen Regulierung und Liberalisierung" unter der Leitung von Ralf Ptak (Universität Köln) die Beiträge von Philip Manow (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln) und Reinhard Neebe (Staatsarchiv Marburg). Philip Manow widmete sich in seinem Beitrag unter dem Titel "Der Ordoliberalismus und die Regulierung des wirtschaftlichen Wettbewerbs in Deutschland und Europa" dem ideengeschichtlichen Entstehen und Wirken der Theorie, die noch häufig als ideeller Hintergrund der sozialen Marktwirtschaft gesehen wird. Dieses Gedankengebäude, so die zentrale These Manows, lasse sich als intellektuelle Reaktion des protestantischen Bildungsbürgertums auffassen, das in den 1920er Jahren - politisch marginalisiert durch die Hegemonie von Zentrum und Sozialdemokratie - versucht habe, seine eigene Antwort auf die Konfliktkonstellation zwischen Arbeit und Kapital zu finden. Als "Treibhaus der Ideen" oder entscheidende formative Phase hätten also keineswegs, wie vielfach angenommen, die Gründungsjahre der Bonner Republik fungiert, sondern die krisengeprägten 1920er Jahre. Die anfänglich aufgeschlossene Haltung des protestantischen Bürgertums im wilhelminischen Kaiserreich gegenüber den sozialstaatlichen Interventionen der first post-liberal nation (Abelshauser), die anders als die Schweiz oder die USA auf wirtschaftliche Schwierigkeiten und soziale Konflikte nicht mit einer De- sondern "Rekorporierung" reagierte, habe sich nach 1918 gewandelt. Frühere Befürworter der Sozialreformen wechselten nun ins Lager der Kritiker und propagierten eine liberale Wirtschafts- und Produktionspolitik als Mittel der Wohlfahrtsteigerung. Nach 1950 formierten sich nach Manow die Konfliktlinien neu, als innerhalb der CDU der Konflikt zwischen dem "katholischen", an Frankreich orientierten Sozialflügel und den "protestantischen" Ordoliberalen um Erhard virulent wurde. Konnten diese mit der Durchsetzung des Freihandels und der Zollunion in Form der EWG vor allem in der Außenwirtschaftspolitik Erfolge verzeichnen, hätten sie den Ausbau des Sozialstaates in der Bundesrepublik als Niederlage empfunden.

Dass auch in Kontroversen um die außenwirtschaftliche Orientierung der Bundesrepublik seit der Ära des Marshall-Planes historische Kontinuitäten in divergierenden Konzepten eine gewichtige Rolle spielten, die in der gegenwärtigen Debatte um Nationalstaaten und Globalisierung viel zu häufig ausgeblendet werden, machte der Vortrag von Reinhard Neebe mit dem Titel "Weichenstellung für die Globalisierung: Deutsche Weltmarktpolitik in der Ära Ludwig Erhard" deutlich. Seit dem spektakulären Aufstieg der deutschen (Außen-)Wirtschaft im späten 19. Jahrhundert ginge es - laut Neebe - immer wieder um die Alternative einer ‚informellen' Expansion eines deutschen Handelsstaates auf der Basis globaler Weltmarktkonkurrenz oder um die Option einer ‚formellen' Gründung eines binneneuropäischen abgeschotteten Wirtschaftsraumes. Der Konzeptionsstreit erreichte Anfang der 1960er im neuen Gewand seinen Höhepunkt, als die ‚Atlantiker' unter Erhards Führung sich in der Frage der europäischen Integration gegen die ‚Gaullisten' um Adenauer durchsetzen konnten - ein fundamentaler Konflikt, den Neebe als Auslöser des endgültigen Zerwürfnisses zwischen dem Bundeskanzler und seinem Wirtschaftsminister interpretierte. Den Zielkonflikt zwischen einem von den Gaullisten favorisierten Europa als politischer dritter Kraft und der Herausbildung einer partnerschaftlichen transatlantischen Handelssphäre im Rahmen einer multilateralen Weltwirtschaftsordnung habe Erhard nach hartem Ringen schließlich für sich entscheiden können. Hatten die US-Amerikaner unter Kennedy, der die ökonomische Einbindung Westdeutschlands als Kernpfeiler einer Neuordnung Europas nach US-amerikanischen Vorbild ansah, 1962 mit dem Trade Expansion Act eine attraktive Offerte zur Begründung einer zukünftigen euro-atlantischen Partnerschaft gemacht, konnte mit der Hinwendung der EWG auf ein System globaler Interdependenz als Gegenstück die bis in die Gegenwart andauernde Ausrichtung der Bundesrepublik als Handelsnation gesichert werden. Die Rolle Erhards in diesem Streit, der anders als Adenauer "Wirtschaft als Schicksal" verstand und eine weltoffene Außenhandelspolitik als Kernelement einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auffasste, ist - so Neebe - bisher ohne adäquate Würdigung geblieben.

Mit einem Vortrag von Alfred Reckendrees (Universität Köln) über das Thema "Rheinischer Kapitalismus? Institutioneller Wandel zwischen 1798 und 1871" begann am Samstag, dem 27. November der zweite Themenbereich "Das Treibhaus der Institutionen: Das deutsche Produktionsregime und unternehmerisches Handeln in der Globalisierungsarena vor 1914", der unter der Leitung von Thomas Welskopp (Universität Bielefeld) stand. Dabei zeigte Reckendrees mit seiner Betrachtung der Entwicklung im Aachener Raum, dass ‚rheinischer Kapitalismus' nicht nur als eine emblematische Chiffre verstanden werden kann. Die Wiege des deutschen Kapitalismus bzw. des für ihn charakteristischen institutionellen Gefüges stand tatsächlich im Rheinland, das schon vor 1880 zu einem prosperierenden Wirtschaftsraum avancierte. So wurde "die Saat für das Treibhaus der Institutionen im Kaiserreich im Rheinland gelegt". Die französische Tradition hatte dies entscheidend begünstigt. Bereits um 1830 hatte die Region den Prozess der Sekundarisierung abgeschlossen und bediente überseeische Exportmärkte, zu denen sogar der US-Markt zählte. Als besonders vorteilhaft erwies sich dabei, so Reckendrees, die institutionelle Diversität innerhalb Preußens, die zuliess, dass in der Rheinprovinz die durch die französische Herrschaft zwischen 1798 und 1814 begründeten Institutionen weiter genutzt oder ausgebaut werden konnten. So profitierten die Akteure nicht nur von Rechtsordnungen wie dem Code Civile und dem Code de Commerce, sowie dem stabilen und leistungsstarken Währungssystem, sondern auch von den neugeschaffenen Handelskammern, die als vertrauensbasierte kommunikative Netzwerke und regionale Denkfabriken maßgeblich zur Vermittlung technischen Wissens beigetragen hätten, was der Kölner Wirtschaftshistoriker anhand des Beispiels der Aachener Kammer detailliert zeigen konnte. Der institutionelle Wandel sei aber auch nach dem Ende der französischen Herrschaft fortgeschritten. In der aufkommenden Industriegesellschaft entstanden neue soziale Institutionen, von denen Reckendrees besonders das Verbot der Naturalienentlohnung, die Schaffung von Krankenkassen und Bildungsvereinen sowie die Etablierung von Sparkassen (1834) und Sparbüchern hervorhob. Diese Ausbildung der Institutionen "von unten", so Reckendrees' Fazit, zeige, dass institutioneller Wandel keineswegs immer mit staatlicher Regelsetzung verbunden sei; er könne durch den Staat behindert oder befördert werden.

Peter Hertner (Martin-Luther-Universität Halle) konzentrierte sich in seinem anschließenden Überblicksreferat "Globalisierung als technische und finanzielle Herausforderung: Die deutsche elektrotechnische Industrie in den Ländern der europäischen Peripherie und in Lateinamerika vor dem Ersten Weltkrieg" auf unternehmerische Weltmarktstrategien vor 1914. Was für eine unangefochtene Position insbesondere die beiden als "full-line manufacturers" ("Alleshersteller") agierenden Hersteller Siemens und AEG einnahmen, verdeutlicht ein Blick auf den Weltmarktanteil deutscher Unternehmen bei elektrotechnischen Gütern im Jahr 1913: Deutsche Unternehmen konnten 35 Prozent auf sich vereinigen, US-amerikanische 29 Prozent und britische 16 Prozent. Zusätzlich gestützt wurde diese unangefochtene Dominanz deutscher und US-amerikanischer multinationaler Unternehmen durch ein 1903/04 zwischen der AEG und General Electric abgeschlossenes Abkommen, das de facto eine Aufteilung der Weltmärkte vorsah. Die AEG verpflichtete sich dadurch zum Rückzug vom britischen und nordamerikanischen Markt. Mit mehreren lokalen Fallstudien (Genua, Barcelona, Buenos Aires) analysierte Hertner das Vorgehen der AEG bei der Erschließung bzw. Festsetzung in ausländischen Märkten, die sich - etwas simplifizierend - auf die Formel "Technologie plus Finanzen" reduzieren ließe. Die AEG ging so vor, dass über Finanzierungsgesellschaften und - insbesondere belgische und schweizerische - Großbanken Kraftwerke in Eigenregie gebaut bzw. lokale, bereits bestehende Elektrizitätswerke aufgekauft und ausgebaut wurden. Durch die Verpflichtung der Kraftwerke, alle relevanten Produkte von der AEG zu kaufen, dem weltumspannenden Netz an Technischen Büros sowie durch den Patentaustausch mit General Electric konnte das deutsche Elektrotechnikunternehmen einen seitdem nie wieder erlangten Status als global player erlangen. Wie einzigartig diese Konstellation innerhalb der Branche vor 1914 war, verdeutlichte Hertners Ausblick auf die Zwischenkriegszeit, als die Finanzierungsstrategie angesichts schwerwiegender Bankenkrisen nicht fortgeführt werden konnte und die unangefochtene Dominanz vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsökonomien (auch aufgrund von Verstaatlichungen) fortan der Vergangenheit angehörte.

Unter der Leitung von Harald Wixforth (Universität Bielefeld) diskutierten Sigurt Vitols (Wissenschaftszentrum Berlin) und Raymond Stokes (University of Glasgow) den dritten Themenbereich "Die verschiedenen Gesichter der Internationalisierung. Kontinuität und Wandel deutscher multinationaler Unternehmen nach 1945", der sich der Entwicklung von Unternehmen und Institutionen nach dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzte. Sigurt Vitols analysierte in seinem Vortrag "Viele Wege nach Rom. Die BASF, Bayer und Hoechst", mit Hilfe des varieties of capitalism-Ansatzes (VOC) die Entwicklungspfade deutscher Chemieunternehmen bzw. die Frage einer Konvergenz institutioneller Arrangements in dieser Branche in den 1990er Jahren. Der Berliner Wirtschaftssoziologe plädierte dafür, eine ‚weichere' Variante des VOC-Ansatzes zu nutzen. Die ‚harte' Variante analysiere Unternehmen als rational handelnde Hauptakteure, deren Handlungen und Strukturen durch länderspezifische institutionelle Arrangements mit Anreizen und Restriktionen maßgeblich beeinflusst werden. Dabei haben sich in der Form der in Europa und Japan beheimateten coordinated market economies (CME) und den liberal market economies (LME) im angelsächsischen Raum zwei dominante Gleichgewichte herauskristallisiert, die durch spezifische institutionelle Rahmenbedingungen den dortigen Unternehmen bestimmte Wettbewerbsvorteile auf den Weltmärkten verschaffen und so eine globale Arbeitsteilung auch in institutioneller Hinsicht generieren. Die ‚weiche' Variante trage hingegen der Heterogenität der Unternehmenslandschaft und -kulturen, sowie der Bedeutung politischer und kultureller Einflussgrößen bei der Entstehung und Veränderung von institutionellen Arrangements Rechnung. CMEs und LMEs werden in diesem Ansatz als Idealtypen und nicht als Gleichgewichte interpretiert, die eine tendenziell lang- und nicht kurzfristige Wirkung ausübten.

Die drei in der Fallstudie untersuchten Großunternehmen BASF, Hoechst und Bayer, wurden seit Beginn der neunziger Jahre mit neuen strukturellen Herausforderungen in Form der Schwerpunktverschiebung von der Pharmazie hin zur Biotechnologie, der wachsenden Bedeutung von "Blockbusterprodukten" und Shareholder-Value-Strategien global ausgerichteter Kapitalmärkte konfrontiert. Die Reaktionen der Unternehmen fielen jedoch, so Vitols, keinesfalls einheitlich aus. Im Falle Hoechst kann angesichts der konsequenten Adaption der Shareholder-Value-Orientierung, der Verlagerung der Forschungsabteilung in die USA bei komplementärer Umorientierung auf den Life-Science-Bereich und der letztendlichen Fusion mit Rhône-Poulenc zu Aventis (alles gegen die langfristigen Interessen der Belegschaft) von einem deutlichen Pfadwechsel in Richtung des angelsächsischen Modells gesprochen werden. Im deutlichen Kontrast dazu verfolgte Bayer eine ‚sanfte Ausrichtung' am Shareholder Value, die sich explizit am ‚rheinischen Modell' orientierte. Diese deutlich konservativere Strategie zeichnete sich durch die Kooperation mit dem Betriebsrat sowie eine Konzentration auf das Kerngeschäft im Rahmen einer diversifizierten Produktionspolitik sowohl im Pharma- als auch im Chemiebereich aus. Vergleichbar ist die Reaktion der BASF, die mit der Verbundstrategie auch weiterhin auf Kontinuität setzte, sich allerdings stärker auf die Hauptfertigungsstandorte orientierte, striktere Renditevorgaben machte und das Pharmageschäft komplett aufgab, weil es auf dem Weltmarkt die kritische Masse nicht erreichte. Die Strategien der untersuchten Unternehmen hätten sich, so Vitols in seinem Fazit, trotz anfänglich vergleichbarer Governance-Strukturen und Produktionsstrategien seit Mitte der 1990er Jahre eindeutig auseinanderentwickelt. Die disparaten Reaktionen auf der Unternehmensebene hätten jedoch paradoxerweise zu einem gleichförmigen Ergebnis auf der Branchenebene geführt: Die gesamte Großpharmasparte erlebte nahezu einen Exodus aus Deutschland in die USA, während der Chemiebereich gestärkt wurde. Entgegen der Konvergenzhypothese ist nach Vitols eine Intensivierung der institutionellen Arbeitsteilung im globalen Maßstab zu registrieren, welche von dem weichen VOC-Ansatz postulierte langfristige Wirkungsweise von Institutionen somit bestätigen würde.

Raymond Stokes konnte mit seinem Beitrag "Globale Unternehmen im nationalen Kontext: Die deutsche Mineralölindustrie 1945-1973" zeigen, dass die Erfolgsgeschichte deutscher Unternehmen auch Grenzen hatte. Angelsächsische multinationale Unternehmen, die den deutschen Ölmarkt teilweise schon vor 1933 beherrscht hatten, konnten mit Hilfe der Besatzungsbehörden diese Stellung auch nach 1945 wiedererlangen. Der relativ freie Markt für Mineralölprodukte ab 1951 - die Konkurrenz zur Kohle war sogar ausdrücklich erwünscht - sollte auch noch zu gründenden deutschen Unternehmen offenstehen. Zu diesem Zwecke versuchte die Bundesregierung, Erdöllagerstätten in Deutschland zu erschließen und setzte sogar die Dehydrieranlagen aus der NS-Zeit wieder in Gang. Konnten sich die vergleichsweise kleinen deutschen Mineralölindustrieunternehmen während der fünfziger Jahre sogar kurzfristig behaupten, wurde spätestens ein Jahrzehnt später offensichtlich, dass sie den ausländischen Multis nichts entgegensetzen konnten. Das Bemühen, gegen die übermächtigen ausländischen Multis wie in Frankreich und Italien einen national champion aufzubauen, scheiterte schon im Ansatz: Stokes verglich es in Anlehnung an Tom Waits mit dem Versuch, "einen Gorilla mit Erdnüssen zu bewerfen". Anstrengungen der deutschen Bundesregierung, die Anfang der 1960er Jahre den Aufbau eines deutschen Ölkonzerns gegen die ausländische Konkurrenz vorantrieb, blieben ohne nachhaltigen Erfolg.

Im vierten und letzten Themenbereich "Der institutionelle Rahmen unternehmerischen Handelns im frühen 20. Jahrhundert", der unter der Leitung von David Gilgen (Universität Bielefeld) stand, verglich Paul Windolf (Universität Trier) in seinem Vortrag "Unternehmensverflechtung 1896 - 1938: Deutschland und USA im Vergleich" den unternehmerischen Verflechtungsgrad sowie die länderspezifische Rolle von Netzwerken bzw. Netzwerkspezialisten in beiden Volkswirtschaften. Aufsichtsräte dienten nach seiner Auffassung nicht nur als rechtlich vorgesehene Kontrollorgane, sondern auch als Ort wichtiger Unternehmensentscheidungen sowie als Börse für die Aushandlung von Kooperationsentscheidungen, die Außenseitern außerhalb des Netzwerkes nicht zugänglich waren. Netzwerke wurden dadurch ausgebildet, dass eine Gruppe von untereinander bekannten Managern sich häufig wechselseitig in die Organe der Aktiengesellschaften berief. Windolf ging grundsätzlich davon aus, dass der Anteil von "isolierten" Unternehmen um so geringer ausfällt, je höher die Dichte des Netzes sei. Eine hohe Zentralität des Netzwerkes vergrößere zudem die Chancen für einzelne Manager, über ihre Rolle als big linkers bzw. als Kontrolleure Reputation und Autorität aufzubauen. Je höher der Anteil "gerichteter" Beziehungen innerhalb des Netzes sei, desto größer sei der Anteil der Manager, die im Netz als Vorstand über eine eigene positionale Machtbasis verfügen. Und: Je größer der Anteil der Industrieunternehmen sei, in deren Aufsichtsrat ein Bankier säße, desto intensiver fiele die Bankenkontrolle in Form gerichteter Mehrfachbeziehungen aus.

Mit einer Analyse der intra- und intersektoralen Verflechtungen anhand der Vorstands- und Aufsichtsratsmandate konnte Windolf für die USA und Deutschland signifikante Unterschiede in der Gestalt und Ausbildung der Netze nachweisen. Die Quantifizierung der Verflechtungen mit Hilfe einer Matrix-Korrelation zeigt für Deutschland steigende, für die USA hingegen abnehmende Korrelationskoeffizienten. Der Anteil von deutschen Industrieunternehmen mit einem Banker im Aufsichtsrat fällt höher aus als in US-amerikanischen Unternehmen. Die Banken- und Unternehmensverflechtung verlief in Deutschland nahezu parallel. Deutsche Bankiers hatten häufiger den Vorsitz im Aufsichtsrat inne, wohingegen ein US-Banker nur selten als Chairman im board of directors eines Industrieunternehmens amtierte. Umgekehrt war jedoch der Anteil von Industriemanagern, die im board of directors von US-Banken saßen, deutlich höher als der Anteil deutscher Industriemanager, die im Aufsichtsrat der Banken vertreten waren. Maßgeblich bestimmt wurde diese unterschiedliche Entwicklung in den USA und Deutschland - so Windolf - durch die Vermachtung der Unternehmenslandschaft bzw. deren rechtliche Regulierung. In Deutschland stieg kontinuierlich die Netzwerkdichte parallel zur zunehmenden Kartellbildung in der Unternehmenslandschaft an. So wurden deutsche Netzwerke durch starke intrasektorale Beziehungen geprägt, d. h. ein hoher Anteil der Beziehungen verlief zwischen Unternehmen innerhalb desselben Wirtschaftssektors. Diese Kartellierung wurde in den Vereinigten Staaten ab 1914 gesetzlich unterbunden, so dass die Netzwerkdichte sank. In den durch Trusts geprägten Branchen waren Netzwerkstrukturen ohnehin überflüssig.

Um einen maßgeblichen Input für die immaterielle Produktion bzw. um die Frage der Wissenserzeugung und -übertragung ging es im letzten Beitrag "Deutsche Patentaktivitäten in der Globalisierungsphase des späten 19. Jahrhunderts" von Jochen Streb (Universität Hohenheim), der über die spartenmäßige und räumliche Verteilung von Patenten im Deutschen Kaiserreich 1877 bis 1918 berichtete. Untersuchungsziel eines in Tübingen und Hohenheim angesiedelten Forschungsprojektes ist es, herauszufinden, ob und auf welche Weise Wissensübertragungen zwischen geographisch und technologisch benachbarten Unternehmen das Innovationspotential und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhöhten. Patente dienen dabei als Indikator für die Entwicklung von neuem, ökonomisch nutzbarem, technologischem Wissen. Die Lebensdauer eines Patents wird als Indikator für seinen ökonomischen Ertrag gewertet. Diese Vorgehensweise beruht auf der Hypothese Strebs, dass Patenthalter nur dann bereit waren, über einen längeren Zeitraum hinweg die deutlich ansteigenden jährlichen Patentgebühren zu tragen, wenn ihnen ihr Patent einen mindestens genauso hohen Nutzen erbrachte. Alle Patente mit einer Lebensdauer von mindestens 10 Jahren werden dabei als wertvoll klassifiziert und für die Untersuchung erfasst. Der durchschnittliche jährliche Anteil der wertvollen Patente an allen untersuchten 311000 Patenten betrug 11,14 Prozent. Innerhalb dieser Gruppe dominierten die Branchen Elektrotechnik, chemische Verfahren, Synthesefarben, Druckerei und wissenschaftliche Instrumente, die zusammengenommen mehr als ein Viertel aller wertvollen Patente umfassten. Dabei konnten, wie Streb am Beispiel der Sparten Farben und Färben zeigte, spillover-Effekte in nahestehende Industrien und Abnehmerbranchen nachgewiesen werden.

Hinsichtlich der geographischen Verteilung - gemessen an der Korrelation zwischen Patentwellen und der Dislokation in Regierungsbezirken - zeigte Streb, dass die wertvollen Patente nicht gleich verteilt waren, sondern sich auf Cluster am Rhein, im Großraum Berlin und Sachsen konzentrierten. Die Rangordnung der innovativsten Regionen Deutschlands veränderte sich allerdings während vier aufeinanderfolgender Wellen des technologischen Fortschritts. Berlin und Düsseldorf konnten ihre wegweisende Stellung während der ganzen Periode halten. Wiesbaden und die Pfalz reüssierten während der Teerfarbenwelle, Potsdam während der elektrotechnischen Welle. Dresden und Leipzig erlebten hingegen einen Abstieg. Streb wies darauf hin, dass fast alle Regionen mit konstanter oder zunehmender Innovationsfähigkeit zumindest einen innovativen Cluster technologisch verwandter Industrien besaßen, während dies bei Regionen mit abnehmender Innovationsfähigkeit nicht der Fall war. Augenscheinlich, so seine abschließende These, war der branchenübergreifende Wissenstransfer zwischen geographisch benachbarten innovativen Unternehmen eine wichtige Quelle für wertvolle Patente und damit das Innovationspotential einer Region. Entgegen traditionellen Annahmen, dass technischer Fortschritt den Strukturwandel beschleunige, kann nach Strebs Auffassung aufgrund von geographisch beschränktem Wissen technologischer Fortschritt den Strukturwandel sogar verlangsamen.

Dietmar Petzina (Universität Bochum) leitete die von ihm moderierte abschließende Generaldebatte mit drei zentralen Fragen in Hinsicht auf eine differenziertere Diskussion um die Folgen der Globalisierung ein. Wie haben, erstens, Globalisierungsbewegungen im historischen Vergleich auf Gesellschaft gewirkt? Wie beeinflussen sie, zweitens, die verschiedenen Spielarten des Kapitalismus? Und drittens: Wie kann es gelingen, dem deutschen Modell, das in der ersten Phase der Globalisierung vor 1914 als nachahmenswertes Vorbild figurierte, wieder etwas mehr Attraktivität zu verleihen? Alfred Reckendrees und Jochen Streb wiesen auf die Bedeutung des US-amerikanischen Binnenmarktes hin, von dessen Wachstum die europäischen Volkswirtschaften in Europa mit ihren institutionellen Wettbewerbsvorteilen - etwa in Gestalt des überlegenen deutschen Bildungssystems - maßgeblich profitiert hätten. Diese Bewegung zeichne sich in der Gegenwart spiegelverkehrt ab: während US-amerikanische Firmen nun ihre Wettbewerbsvorteile zur Geltung brächten, dienten die europäischen Märkte als Absatzmarkt. Der Auffassung von der aktuellen Hegemonie des US-amerikanischen Modells widersprach Harald Wixforth, der unter anderem bei deutschen Banken eine Rückbesinnung auf traditionelle Strategien in Abkehr von dem im angelsächsischen Raum vorherrschenden reinen Investmentbanking ausmachte. Peter Hertner plädierte für eine differenzierte Betrachtung der Globalisierungsphase vor dem Ersten Weltkrieg und verwies auf die überragende Bedeutung Großbritanniens, das zwar als Modell für viele Länder fungiert hätte, diese aber als Wachstumszentren fast alle ihr eigenes Konzept entwickelt hätten. Paul Windolf erinnerte daran, dass das japanische Modell in den 1980er Jahren als Allheilmittel für kränkelnde Volkswirtschaften gepriesen worden sei. Keineswegs auszuschließen sei deswegen, dass die "Deutschland AG" als neues Paradigma wieder in Zukunft etabliert werden könne. Margrit Grabas (Universität Saarbrücken) trat dafür ein, die kulturelle und ökologische Komponente als Vorteile eines reformierten deutschen Leitbildes nicht zu übersehen.

Werner Abelshauser blieb es in seinem Schlusswort vorbehalten, zwei wünschenswerte Aufgabenstellungen - eine für die Wissenschaft, eine für die Politik - zu konturieren. Erstens gelte es zu klären, welche Produktionsregime innerhalb der Weltwirtschaft im Wettbewerb stehen, worin ihre komparativen institutionellen Vorteile bestehen und auf welchen Märkten sie jeweils Wettbewerbsvorteile geltend machen können. Für zukünftige Forschungen stelle sich zweitens die Herausforderung, das Handeln von Unternehmen in ihrem jeweiligen sozialen System der Produktion bzw. die von ihnen realisierte Nutzung komparativer institutioneller Vorteile noch genauer zu lokalisieren und zu erforschen. Politisch entscheidend sei, dass sich die Akteure im sozialen System der Produktion wieder auf ihre Aufgaben besinnen. Die Politik könne dabei eine Hilfestellung leisten, indem sie diese auf ihre Rolle hinweist und Anreize schafft - für eine Beseitigung der Schwächen, aber auch für den Erhalt und die Nutzung der Stärken des Rheinischen Kapitalismus.